Tell My Why

Veröffentlicht am 02.10.2020 von Stephan in Reviews
Tell Me Why ist ein aus drei Episoden bestehendes Adventure von Dontnod Entertainment das im August 2020 für Microsoft Windows (Steam & Microsoft Store) und Xbox One veröffentlicht wurde. Wir erleben die Geschichte der Zwillinge Alyson (Erica Lindbeck) und Tyler Ronan (August Aiden Black), die sich nach langer Trennung neu kennenlernen und dabei nach und nach die Geheimnisse ihrer eigenen Vergangenheit enthüllen.

Eine dunkle Vergangenheit


Als Mary-Ann Ronan, die Mutter der Geschwister, durch einen tragischen Zwischenfall ums Leben kommt, wird das Leben der Zwillinge schlagartig auf den Kopf gestellt. Da sie ihr Vater bereits vor der Geburt verlassen hat, werden die beiden nun zu Waisen gewordenen Geschwister getrennt. Während Alyson vom Polizeischiff des kleinen Ortes Delos Crossing aufgenommen wird, wird Tyler in die Fireweed Jugendanstalt verwiesen. Erst 10 Jahre später treffen sich die Geschwister, nun junge Erwachsene, das erste Mal wieder und besuchen ihren alten Wohnort. In seinem alten Zuhause stößt Tyler auf etwas, das alles, was er bisher glaubte, infrage stellt. Was ist in der Nacht, in der seine Mutter ums Leben kam, wirklich geschehen? Als Alyson und Tyler damit beginnen in der Vergangenheit zu stöbern, decken sie nach und nach immer mehr Details, auf die alles infrage stellen, was sie bisher geglaubt haben zu wissen.

Alyson und Tyler als Kinder in Tell Me Why
In Rückblenden erleben wir Passagen aus Alysons und Tylers Kindheit


Ein interaktiver Film


Das Spiel beginnt kurz vor dem ersten Zusammentreffen der Geschwister. Zuerst in der Rolle von Alyson, dann als Tyler packen wir unsere Sachen. Bereits in den ersten Minuten kommt einen der größten Neuerungen zum Tragen: Wir steuern nicht nur einen der Protagonisten, sondern schlüpfen abwechselnd in die Rolle von Alyson oder Tyler. Selbst steuern können wir das zwar nicht, die verschiedenen Blickwinkel lockern die Handlung aber gekonnt auf. Das eigentliche Gameplay besteht primär aus Dialogen und kleinen Rätseln. Wer Life is Strange 2 gespielt hat, wird sich hier sofort zu Hause fühlen. Der Ablauf folgt dabei immer dem gleichen Schema – wir betreten ein Gebiet, untersuchen dort alle herumliegenden Objekte, führen Gespräche mit den dort anwesenden Personen und lösen hin und wieder ein kleines Rätsel um weiterzukommen.

Ein Sicherungskasten in einem Rästel in Tell Me Why
Ohne Sicherungen kein Strom.

Das ist mit Ausnahme von ein bis zwei etwas kniffligeren Aufgaben keine große Herausforderung und da wir keinerlei Zeitdruck haben, können wir uns ganz auf die Handlung konzentrieren. In einigen Abschnitten geht das so weit, dass wir kaum mehr tun, als die nächste Dialogoption auszuwählen und uns dann entspannt zurücklehnen können. Ich sehe das in dieser Art von Spiel nicht negativ, allerdings hätte ich mir doch etwas mehr Gameplay gewünscht.

Eine Stimme


Dass Zwillinge in einigen Fällen eng verbunden sind, ist nichts Neues, Alysons und Tylers Verbindung hebt dies jedoch auf ein neues Level, denn sie teilen die Gabe „Der Stimme“, eine Art telepathische Verbindung. So können sie sich dadurch nicht nur während Gesprächen mit anderen Absprechen, sondern nutzen dies auch ganz praktisch, indem z. B. Alyson Schmiere steht während Tyler verbotenerweise Akten durchsucht. Dazu kommt die Fähigkeit Erinnerungen durch Konzentration auf ein bestimmtes Ereignis neu zu erleben, was uns als SPieler immer wieder dazu zwingt zu Entscheiden, denn jeder der beiden hat eine etwas andere Erinnerung und es liegt an uns, welche wir als echt empfinden.

Tyler erlebt eine Erinnerung an seine Kindheit in Tell Me Why
An bestimmten Schlüsselpunkten können wir uns erinnern und sehen dann kurze Fragmente vergangener Begebenheiten


An dieser Stelle möchte ich das Engagement von DONTNOD besonders hervorheben. Sei es Mobbing, Suizid, Rassismus oder Diskriminierung, der Entwickler schafft es in jedem seiner Spiele wichtige und ernste Themen anzusprechen und versucht gleichzeitig auch Lösungen aufzuzeigen und das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen. Die Charaktere sind nicht nur gut oder böse, sondern haben stets nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln, auch wenn dieses letztendlich auch falsch sein kann. Auch in Tell Me Why steckt mehr als man auf den ersten Blick wahrnimmt. Obwohl ich das aus Mangel an Erfahrung selbst nicht beurteilen kann, empfand ich den Umgang mit Tyler als Transperson als natürlich und nicht zu plakativ wie es in anderen Medien leider häufig rüberkommt. Ganz im Gegenteil ist Tyler ein sehr glaubwürdiger Charakter. Seine Probleme und auch die Reaktionen der anderen sind jederzeit nachvollziehbar und logisch.

Sam aus Tell Me Why
Sam ist Tyler gegenüber zunächst eher skeptisch eingestellt


Ach wie schön is Alaska


Spiele mit toller Grafik sind heute keine Seltenheit mehr und auch Tell Me Why reiht sich hier im guten Mittelfeld ein. DONTNOD setzt wieder auf den inzwischen zum Markenzeichen gewordenen an ein Gemälde erinnernden Stil der bereits in der Life is Strange Serie toll aussah. Die Charaktere sind nochmals ein Stück detaillierter geworden und fügen sich damit nahtlos in die unglaublich liebevoll gestaltete Welt ein. Alle Level sind zwar wie gewohnt sehr kompakt, entschädigen dafür aber mit beeindruckenden Panoramen und zahllosen kleinen Details. Die Liebe zum Detail endet aber nicht bei der Optik.

Tyler betrachtet die schneebedeckten Berge
Die Landschaft lädt zum Verweilen ein

Life is Strange hatte Tagebücher, Tell Me Why hat das Buch der Goblins. Dieses Buch, das die beiden Geschwister durch ihre Kindheit begleitet hat, ist nicht nur ein Nachschlagewerk um die Rätsel zu lösen, sondern nicht weniger als ein kleines Märchenbuch mit vielen Geschichten und wundervollen Illustrationen.

Illustration aus dem Buch der Goblins in Tell Me Why
Das Buch der Goblins ist wunderschön illustriert


Fazit


Das Spiel erinnert mich in vielen Aspekten an Before the Storm, das Sequel zu Life is Strange. Beide Spiele bestehen aus drei Episoden, erzählen ihre Geschichte mehr fokussiert und sind einfach etwas kleiner ohne deshalb in irgendeiner weise schlechter zu sein.
Dontnod typisch treffen wir im Verlauf der Handlung mit der Auswahl unserer Antworten in den Dialogen viele Entscheidungen, die das Ende beeinflussen. Diese fallen diesmal allerdings eher subtil aus, wirklich schwerwiegende Konsequenzen sollte man nicht erwarten. Das passt auch zu meinem Eindruck, dass dieses Spiel einfach einen Gang zurückschaltet. Es ist kompakter, weniger episch und dadurch in gewisser Weise auch glaubwürdiger und geerdeter als z. B. Life is Strange 2.

Tell Me Why erfindet sich nicht neu, sondern bleibt dem bewährten Stil treu. Nahezu alle negativen wie auch positiven Aspekte von Life is Stange 2 treffen deshalb auch hier zu. Die Darstellung des verschneiten Dellos Crossing kann wie gewohnt begeistern, Soundtrack und Synchro sind auf sehr hohem Niveau und die Handlung, das Aushängeschild der Spiele, ist auch im neusten Werk wieder spannend erzählt, toll inszeniert und stecht voller Wendungen. Wie bereits beim Vorgänger ist Tell Me Why mehr interaktiver Film als Spiel. Das Gameplay, das primär aus dem genauen Untersuchen aller Gegenstände und dem Lösen kleiner Rätsel besteht ist zwar durchaus spaßig, ist, aber wenn wir ehrlich sind kaum mehr als eine Auflockerung zwischen Dialogen und Zwischensequenzen.

Die Veröffentlichung im Episodenformat ist inzwischen nichts mehr neues und für diese Art von Spiel empfinde ich es auch als sehr passend. Ein Nachteil war nur das lange Warten zwischen den Episoden. Diesmal wurde die Wartezeit nun deutlich reduziert. Wurden die Life is Strange Spiele im Abstand von mehreren Monaten veröffentlicht, konnte man hier alle Episoden im Abstand von gerade mal einer Woche spielen. Für mich eine willkommene Änderung.

Technisch macht das Spiel einen durchweg guten Eindruck. Fehler konnte ich bis auf eine nicht störende Ausnahme keine entdecken, die Anforderungen sind moderat und dennoch sieht es sehr hübsch aus. Meine einzigen beiden Kritikpunkte sind die fehlende Unterstützung für Ultrawide-Monitore und dass es nur einen Speicherstand gibt, mehrere Speicherstände sollten meiner Meinung nach immer der Standard sein, gerade in einem Spiel in dem man vielleicht auch einen zweiten Durchlauf startet.

Tell Me Why ist bei Steam (PC), im Microsoft Store (PC & Xbox One) erhältlich. Derzeit ist das Spiel nur als Download erhältlich, ob es eine physische Version oder gar eine Collectors Edition geben wir ist noch nicht bekannt.